Ein bisschen Geschichte zum orientalischen Tanz

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Ein bisschen Geschichte zum orientalischen Tanz

Cornelia Bergler Freitag, 17. Juni 2016 von Cornelia Bergler

Wer erfand unser Bild vom Bauchtanz?

Ein bisschen Geschichte zum orientalischen Tanz

"Bauchtanz" ist eine direkte Übersetzung des französischen "danse du ventre". Diesen Begriff verwendete erstmals der Schriftsteller Gustave Flaubert im 19. Jh. um den Tanz in seinen Reiseberichten zu beschreiben. Allerdings wollte er damit sicherlich nicht einen Tanz-Stil-Begriff prägen, sondern brachte vielmehr seine persönlichen Empfindungen poetisch zum Ausdruck, nachdem er die Zigeunerin Kuchuk Hanem am 03. März 1850 tanzen sah. Nun, was auch immer Flaubert sah, es war auf keinen Fall „Bauchtanz“ so wie wir ihn heute kennen, denn der wurde erst ein halbes Jahrhundert später erfunden, von der letzten großen Awalim.

"Awalem" waren angesehene muslimische Frauen von gesellschaftlich hohem Rang. Gebildet, in den höchsten Kreisen verkehrend, politisch versiert, finanziell unabhängig. Die wenigen Frauen im Orient die Lesen und Schreiben konnten. Von Frauen und Männern gleichermaßen verehrt. Und die Awalim war Tänzerin, Sängerin, beherrschte mehrere Instrumente und bezauberte ihr Publikum ... im Harem!

Lassen wir uns das auf der Zunge zergehen. „Harem“, dass ist kein erotischer Spielplatz, sondern eine hierarchische und kostspielige Familienform, mit gegenseitigen Verpflichtungen, die für jede Frau und jeden Mann in unserer modernen, westlichen Welt völlig unakzeptabel wären.

Und dort tanzte die Awalim nur vor Frauen. Männer hatten schlicht keinen Zugang zum Harem. Auch nicht Flaubert oder ein anderer Orientreisender, von denen uns die abenteuerlichsten Beschreibungen des Bauchtanzes überliefert wurden.

Gut 70 Jahre nach Flaubert´s Reisen eroberten sich die Awalim die Weltbühne. 1ter Weltkrieg, 2ter Weltkrieg Europa trug diese Kriege über seine Kolonien in den Orient. So tummelte sich allerlei Volk in Ägyptens Hauptstadt. Engländer, Franzosen, Spanier, Deutsche und Amerikaner. Soldaten, Spione, Schmuggler, Waffenhändler, Kriegsgewinnler, Kriegsverlierer.

Nun saß also dieses ausländische Volk in Kairo und wollte unterhalten werden. Nachtclubs und Varietés schossen wie Pilze aus dem Boden. Hier traten vor allem europäische Künstler und Künstlerinnen auf. Sie wurden engagiert um den abendländischen Geschmack an Musik, Tanz und Unterhaltung zu treffen. Schließlich ging es hier ums große Geschäft, nicht um Kunst und Kultur.

Doch dann hatte Badia Masabni (1892—1976), die „letzte große Awalim“ und eine überaus erfolgreiche Geschäftsfrau, etwa um die 1930er eine geniale Geschäftsidee. Sie holte hübsche Bauernmädchen von den Feldern, steckte sie in BH, Rock und Perlengürtel, und bildete sie im Tanzen aus, in dem Badia die Schritte und Bewegungen aus einer Vielzahl ägyptischer Volkstänze neu arrangierte. So präsentierte Badia dem Publikum den "Raks sharki" - der Bauchtanz so wie wir ihn heute kennen war geboren.

Und er rief wahre Begeisterungsstürme aus, nicht nur bei den Ausländern, sondern auch bei der einheimischen Oberschicht. Das „Café de Opera“ - Badias Nachtclub in Kairos Altstadt - wurde zu dem angesagten gesellschaftlichen Anziehungspunkt. Hier mussten einfach alle hin die „in“ sein wollten.

Badia Masabni (1892—1976)

Aber Badia tat noch mehr. Sie entwickelte den "Raqs Sharqi" ("Tanz des Ostens", wie er im arabischen Sprachraum heißt) weiter, in dem sie mit ihrem Team von Choreografen neue Beckenbewegungen erfand, darunter vor allem den Shimmy. Auch Armbewegungen und raumgreifendes Tanzen war bis dahin in Ägypten nicht üblich. Und Badia erfand den Tanz mit dem Schleier. Da das Publikum in den hinteren Reihen die Bewegungen nicht richtig sehen konnte, stattete sie ihren Tänzerinnen mit Schleiern aus. Dieser erzielten mehr Wirkung über den großen Abstand zum Publikum hinweg.

Etwa zur gleichen Zeit entdeckten namhafte, amerikanische Tänzerinnen, darunter u.a. Ruth St. Denis, Ida Rubenstein, Maud Allen und Louie Fuller den orientalischen Tanz für sich. Damit rebellierten sie nicht nur gegen das Ballett, sondern wurden zu Mitbegründerinnen des Ausdruckstanzes, der heute in Stilrichtungen wie Modern Dance oder Jazzdance mündet.

Das Hollywood-Kino folgte in den 1930er, 1940er und 1950er Jahren. Eine Flut von Spielfilmen mit orientalischen Geschichten in denen immer wieder Bauchtänzerinnen auftraten, aber auch weltberühmte Schauspielerinnen tanzten, überschwemmte den Markt. So z.B.: 1932 „Mata Hari“ mit Greta Garbo; 1934 „Cleopatra“ mit Claudette Colbert; 1938 „Der Tiger von Eschnapur / Das indischen Grabmal“ mit La Jana. 1949 „Die schwarzen Teufel von Bagdad“ mit Maureen O’Hara; und schließlich unvergessen 1953 „Salome“ mit Rita Hayworth.

Allerdings setzte sich der Bauchtanz in der westlichen Welt erst ab den 1960er Jahren vollends durch. Seit dieser Zeit verlor er immer mehr seinen stereotypen Charakter als erotische Unterhaltungsform und etablierte sich als Breitensport. In den USA eröffneten die ersten „Belly Dance“ Studios und fanden dankbare Kundinnen, deren Ausbruch aus gesellschaftlichen Konventionen in Auflehnung gegen die konservative Regierung der USA der Nachkriegszeit auch im Bauchtanz Ausdruck fand.

Auch die Bezeichnung des Tanzes änderte sich, denn der umgangssprachliche Begriff „Bauchtanz“ ist irreführend da nicht nur der Bauch bewegt wird, sondern auch Arme, Hände, Beine, Füße, Schultern und der Kopf. Tänzerinnen sprechen daher heute von „orientalischen Tanz“ oder verwenden den arabischen Begriff „Raks Sharki“.

Etwa seit den 1990er Jahren verlor der orientalische Tanz schließlich auch in Deutschland sein Nischendasein. Heute gibt es bundesweit rund 60.000 Tänzerinnen, die den orientalischen Tanz als Sport und Tanzkunst in all seiner exotischen Schönheit betreiben.

Der orientalische Tanz ist ungeheuer vielfältig. Längst fließen Elemente aus den unterschiedlichsten Tanzrichtungen ein: u.a. Ballett, Flamenco, Tango, Modern Dance, Jazzdance und sogar HipHop und Tanzdarbietungen zu Heavy Metall machen vor der Tanzlust keinen Halt. Die Requisiten vom Schleier über den Säbel bis zum Kerzenleuchter werden immer raffinierter. Auch die ägyptischen Volkstänze in Bühnenversion gehören mittlerweile zum Repertoire der Tänzerinnen. Der orientalische Tanz hat schon längst Bühnenreife erlangt und auch in Deutschland gibt es einige namhafte Tänzerinnen von internationalem Ruf.